1 Jewgenija Schachowskaja - Erste Militärfliegerin der Geschichte?

Eine fliegerische Ausbildung von Frauen fand nur in wenigen Ländern (z.B. Deutsches Reich, USA, Frankreich) schon vor 1914 statt.
Die Frauenquote unter den Flugschülern betrug vor 1910 wie auch heute unter 10%. Bereits 1910 flog Katherine Wright – Schwester der berühmten Gebrüder Wright – mit einem der ersten Flugzeuge überhaupt.
In Berlin befand sich um 1910 am Flugplatz Johannisthal eines der wichtigsten europäischen Flugzentren, das Interessierte aus allen Teilen der Welt anzog.
Zudem befand sich dort ein Flugzeugwerk der Wright-Brüder, in dem unter anderem die Russin Jewgenija Schachowskaja 1912 die deutsche Fluglizenz (Nr. 274) erwarb.
Schachowskajas Weg zum Flugschüler war für die Zeit vor 1914 typisch: als Cousine des Zaren Nikolaus II. hatte sie als Adlige genug Geld und Zeit, um sich einem damals wie heute exklusiven Hobby zu widmen. Darüber hinaus zeigte sie als Einfliegerin für die Wright-Werke, dass sie neue Flugzeuge praktischen Tests unterziehen konnte und den dafür nötigen Mut und technische Kompetenz besaß. Sie flog in Berlin auch Flugvorführungen und erwarb sich einen Ruf als furchtlose Pilotin.
Mit dem Chefpiloten der Wright-Werke, Asewolod Abramowitsch verband Sie eine Liebesbeziehung. 1912 bot sie dem italienischen Militär ihre Dienste im Italienisch-Türkischen Krieg an - dem ersten Krieg überhaupt, in dem Luftkriegsmittel eingesetzt wurden. Dieses wurde durch Italien aber abgelehnt. Bei einem gemeinsamen Flug mit Abramowitsch im April 1913 auf dem Flugplatz Johannisthal wurde ihr Flugzeug von einer Böe erfasst, die ein weiteres Flugzeug erzeugt hatte, und stürzte ab. Nach dem Tod Abramowitschs soll sie geschworen haben, nie mehr zu fliegen.
 
Über ihr weiteres Schicksal gibt es widersprüchliche Versionen. Einige Historiker sind sich sicher, dass Jewgenija Schachowskaja im Ersten Weltkrieg auf russischer Seite als erste Militärfliegerin der Geschichte am Krieg teilnahm, jedoch nur zu Aufklärungszwecken und nicht als Kampfpilotin. Bestätigt ist nur, dass sie das Fliegen in Berlin erlernte. Die russisch/ sowjetische Geschichtsschreibung mag die Biografie Schachowskajas im Nachhinein ausgeschmückt haben - gerade den russischen Bürgerkrieg betreffend sind die Quellen rar und die Spur Schachowskajas verliert sich in Spekulationen. In den 20er Jahren waren ca. 2% des Personals der roten Armee weiblich. Unter den ca. 60.000 Soldatinnen gab es auch Aufklärungs- und Transportfliegerinnen, der genaue Verbleib Schachowskajas bleibt jedoch historisch ungeklärt.

Literatur:
Lebow, Eilen F.: Before Amelia. Women Pilots in the Early Days of Aviation, Dulles (Virginia)   2002, S. 92ff.
Pennington, Reina: Wings, Women & War. Kansas 2001, S. 8.

Fragen:
1) Warum hat sich die Frauenquote unter den Flugschülern in den letzten 100 Jahren nicht signifikant geändert?
2) Warum wird die Fliegerei bis heute als männlich dominierte Sphäre angenommen?
3) Ist die Fliegerei heute immer noch ein "Männerberuf"? Wenn ja, woran könnte es liegen, dass sich Frauen mehr für den Beruf der Stewardess, als den des Piloten interessieren?
4) Haben die Erfahrungen der Weltkriege dazu geführt, dass den Beruf des Piloten ein maskuliner/ martialischer Mythos umweht, eventuell auch durch die dem Militär ähnlichen Uniformen der Verkehrsflieger?
 
Evgenia Schachowskaja mit Fluglehrer Wsewolod Abramowitch 1913 in Berlin-Johannisthal in einem Wright-Doppeldecker
Erstellt von Christian Taube.


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