Der Soldat an der Westfront – Der Einsatz von Giftgas
Quelle 1: Fritz Haber: Fünf Vorträge aus den Jahren 1920–1923

Der Chemiker Fritz Haber (1868–1934) gilt als geistiger Vater des Giftgaseinsatzes im Ersten Weltkrieg. Seine Ehefrau Clara Immerwahr (1870–1915) – selbst eine promovierte Chemikerin, die Kampfstoffentwicklung als „Perversion der Wissenschaft“ ablehnte – erschoss sich kurz nach dem Chlorgas-Angriff von Ypern mit der Dienstwaffe ihres Mannes. Haber selbst erhielt 1919 den Nobelpreis für Chemie, allerdings nicht für seine Giftgasentwicklungen, sondern für das Haber-Bosch-Verfahren zur Ammoniaksynthese, das als Grundlage zur Herstellung von Stickstoffdünger und Sprengstoff diente. Den Giftgaseinsatz rechtfertigte er in der Nachkriegszeit weiterhin.


„Die Abneigung, die aus der Fremdartigkeit der Waffe ihre Nahrung zieht, wird gesteigert durch die Vorstellung besonderer Grausamkeit und durch den Zweifel, ob sie nicht Grundlagen des Völkerrechtes verletzt, die im Interesse der Menschheit auch im Kriege heilig bleiben müssen. [...] Die Gaskampfmittel sind ganz und gar nicht grausamer als die fliegenden Eisenteile; im Gegenteil, der Bruchteil der tödlichen Gaserkrankungen ist vergleichsweise kleiner, die Verstümmelungen fehlen und hinsichtlich der Nachkrankheiten, über die naturgemäß eine zahlenmäßige Übersicht vorerst nicht zu erlangen ist, ist nichts bekannt, was auf ein häufiges Vorkommen schließen ließe. Aus sachlichen Gründen wird man unter diesen Umständen zu einem Verbote des Gaskrieges nicht leicht gelangen. [...] Bei den Gaskampfmitteln liegt alles umgekehrt. Das Wesentliche bei ihnen ist, daß ihre physiologische Einwirkung auf den Menschen und die Sensation, die sie hervorrufen, tausendfältig wechseln. Jede Veränderung des Eindrucks, den Nase und Mund verspüren, beunruhigt die Seele mit der Vorstellung einer unbekannten Wirkung und ist ein neuer Anspruch an die moralische Widerstandskraft des Soldaten in einem Augenblicke, in dem seine ganze seelische Leistung ungeteilt für seine Kampfaufgabe verlangt wird.“

Fritz Haber: Die Chemie im Kriege (Vortrag, gehalten vor den Offizieren des Reichswehrministeriums am 11. November 1920), in: ders.: Fünf Vorträge aus den Jahren 1920–1923, Berlin 1924, S. 25-41, hier: S. 34f. und 37


„Das Ereignis von Ypern, das die Entwicklungsperiode von der eigentlichen Gaskriegszeit trennt, bedeutet die Erneuerung einer uralten militärischen Technik mit modernen Hilfsmitteln [...] Die Entwicklung der chemischen Industrie hat die wirksame Erneuerung dieser Kriegstechnik nahegelegt. Nach einer geschichtlichen Regel, die bei allen neuen wirksamen Kampfmitteln sich bestätigt, ist die physische Wirkung der Chlorwolke gründlich übertrieben worden. Ich stände nicht hier, wenn sie jeden tötete, den sie erfaßt und außer Gefecht setzt. Denn ich bin selbst bei einem großen Geländeversuch durch Unvorsichtigkeit ohne jedes Schutzmittel in eine solche Wolke geraten, aus der ich mich nicht herausfand, und mit schweren, aber in einigen Tagen völlig vorübergehenden Erscheinungen davongekommen.“

Fritz Haber: Zur Geschichte des Gaskrieges (Vortrag, gehalten vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Deutschen Reichstages am 1. Oktober 1923), in: ders.: Fünf Vorträge aus den Jahren 1920–1923, Berlin 1924, S. 76-92, hier: S. 88

Fritz Haber: Die Chemie im Kriege

Fritz Haber: Zur Geschichte des Gaskrieges


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