Emigration und Exil von Wissenschaftlern und Ingenieuren 1930-1950


Innere Emigration





Die Haltung der „inneren Emigration“ betrifft insbesondere Künstler, Intellektuelle oder Wissenschaftler, die ihrer Gesinnung nach dem Nationalsozialismus kritisch bis ablehnend gegenüberstanden und sich nicht von den Nationalsozialisten vereinnahmen lassen wollten, sich aber auch nicht zu offenem Widerstand oder zu Auswanderung, Flucht oder Emigration entschließen konnten (z. B. aufgrund persönlicher oder institutioneller Verpflichtungen) oder die sich aus Verantwortung ihren Mitmenschen gegenüber zum Bleiben bewogen fühlten. Einige dieser Personen waren mit Berufsverboten beruflich „kaltgestellt“; andere wollten aber auch nur keinem Emigranten einen der wenigen Arbeitsplätze in den Exilländern wegnehmen. Einige wenige von ihnen arbeiteten (zuweilen oder kontinuierlich) in Widerstandszirkeln mit und wirkten durch Verbreitung ihrer Werke im Untergrund der NS-Propaganda entgegen. Viele anderen äußerten ihren Dissenz mit dem NS-Regime und dessen Ideologie nur im Verborgenen durch ihr geistiges Emigrantendasein – insofern seht „die Kunst der inneren Emigration in einer ideologischen Grauzone zwischen innerem Widerwillen und äußerlicher Anpassung“ (Jost Hermand 2010). Beispielsweise malte der Bauhaus-Künstler Emil Bartoschek für die Öffentlichkeit naturalistische Bilder, während er für einen kleinen Kreis weiterhin die abstrakte Kunst pflegte.

Schriftsteller entwickelten -- waren sie nicht mit einem Schreibverbot belegt -- eigene Formen des „Zwischen-den-Zeilen“-Schreibens („Sklavensprache“, „verdeckte Schreibweise“), der halbgetarnten, doppelbödig formulierten Stellungnahmen, deren regimekritisches Potential sich nur aufmerksamen Lesern und erst bei genauerem Lesen entpuppte. Allegorien, historische Parallelen, Mehrdeutigkeit, versteckter Hintersinn und ein danach Ausschau haltendes „zwischen den Zeilen lesen“ waren verbreitet. Genres wie Märchen, Parabeln und Legenden hatten Konjunktur und führen in das „verschlungene Dickicht einer deutschen Literatur im Dritten Reich, die nicht gleichgeschaltet war, sondern abseits blieb oder sich gar gegen das herrschende Regime wandte“ (Grimm 1976: 406). Aktiver Widerstand war allerdings eher eine Seltenheit; Resistenz, passive Verweigerung bis hin zum Verstummen (zumindest nach außen hin) auf dieser gleitenden Skala von Reaktionsformen typischer waren typischer. Für Hans Rothfels habe „alle innere Emigration gleichsam eine kollaborative und eine oppositionelle Seite“ gehabt; für Wolfgang Brekle, Reinhold Grimm u.a. verdient nur eine Gegenhaltung, die erkennbar war, die Bezeichnung „innere Emigration“, so etwa der sofortige und freiwillige Austritt von Ricarda Huch aus der Preußischen Akademie der Künste 1933 (Grimm 1976: 411).

Der Ausdruck „inneren Emigration“ wurde vereinzelt bereits seit 1933 benutzt, so z.B. von Jochen Klepper, der von seinem „Emigrantenleben im Vaterlande“ sprach oder von Ernst Barlach, der 1937 ebenfalls davon sprach, dass er „im Vaterlande eine Art Emigrantendasein führe“: wegen „der Verhängung der langsamen Erdrosselung, deren Absicht klar genug zu Tage tritt“, sei sein „Zustand noch übler als der eines echten Emigranten“. Auch die Emigranten Thomas und Heinrich Mann benutzten den Ausdruck „innere Emigration“ bereits seit 1938 – die „inneren Emigranten seien heimatlos in der Heimat geworden“, so Heinrich Mann in seinem Exilroman Der Vulkan 1939. Allgemein bekannt wurde der Ausdruck durch eine Debatte zwischen dem in Deutschland gebliebenen Schriftsteller Frank Thiess mit Thomas Mann, der am 8. Mai 1945 eine Rundfunkrede über „Die deutsche Schuld“ gehalten hatte. In seiner am 18. August 1945 in der Münchener Zeitung gedruckten Antwort Die innere Emigration warf Thiess den Exilanten vor, „aus dem fernen Ausland in Sicherheit und Luxus“ der „deutschen Tragödie“ zugesehen zu haben. Am 12. Oktober 1945 erschien im Augsburger Anzeiger dann schließlich Manns Replik Warum ich nicht nach Deutschland zurückkehre! Dort bekannte er, dass in seinen Augen „Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht gut in die Hand zu nehmen“ seien – „ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an. Sie sollten alle eingestampft werden.“ (Grimm 1976: 408) Andere klagten über die „nichtsnutzige Verwaschenheit“ oder den „gemütvollen Dünkel“ jener in Deutschland nach 1933 verfassten Texte und unterstellten denjenigen, die sich nach 1945 auf „innere Emigration“ beriefen, „kaum verhüllte Selbstrechtfertigung“ (Belege bei Grimm 1976: 408f.). Emigranten wie Walter A. Berendsohn forderten daraufhin, den Begriff der „inneren Emigration“ ganz fallenzulassen, da er nur die „unüberbrückbare Kluft zwischen der Literatur der Flüchtlinge und derjenigen der Daheimgebliebenen“ überdecke.

Innere Emigranten enthielten sich offener Kritik am Nationalsozialismus, leben und fühlten sich (so Ernst Barlach) wie Emigranten im eigenen Land, flüchteten sich in z.T. entlegene, unpolitische Kontexte und praktizierten „beredtes Schweigen“, zurückgezogen, unauffällig, unverdächtig und mit einer „Aura melancholischer Einsamkeit“. Historische Beispiele von `Inneren Emigranten‘ sind Theodor Heuss, Ernst Jünger, Erich Kästner bzw. Hans Thirring oder Otto Hahn in den Naturwissenschaften.



[CB & KH]


Zitierte Literatur:



Ernst Barlach: Als ich von dem Verbot der Berufsausübung bedroht war, verfaßt zwischen 1934 und 1937, abgedruckt u.a. in: left;Prosa aus vier Jahrzehnten, hrsg. v. Elmar Jansen. Berlin: Union Verlag, 1963; online https://www.lernhelfer.de/sites/default/files/lexicon/pdf/BWS-DEU1-0576-01.pdf ;

Walter A. Berendsohn: Innere Emigration, Bromma (Schweden) 1970, hektographiert verbreitet 1971;

Reinhold Grimm & Jost Hermand: Exil und Innere Emigration, Frankfurt: Athenäum, 1972;

Reinhold Grimm: Im Dickicht der inneren Emigration, in: Die deutsche Literatur im Dritten Reich, Stuttgart: Reclam, 1976: 406-426;

Frank-Lothar Kroll & Rüdiger von Voss (Hrsg.): Schriftsteller und Widerstand. Facetten und Probleme der Inneren Emigration, Göttingen: Wallstein 2012;

Peter Klaus Schuster: Kunst für keinen – zur inneren Emigration der deutschen Moderne, in: Deutsche Kunst im 20. Jh., München 1986: 455-457;

Torben Fischer: Exildebatte. In: Torben Fischer & Matthias N. Lorenz (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, Bielefeld 2007: 48–50;

Jost Hermand: Kultur in finsteren Zeiten: Nazifaschismus, Innere Emigration, Exil, Köln: Böhlau, 2010;

Josefine Preißler: Der Topos "Innere Emigration" in der Kunstgeschichte. Zur neuen Auseinandersetzung mit Künstlerbiografien, in Christian Fuhrmeister et al. (Hrsg.) Vermacht, verfallen, verdrängt – Kunst und Nationalsozialismus, Petersberg: Imhof 2017: 47-54;

Hans-Dieter Zimmermann: Innere Emigration – ein historischer Begriff und seine Problematik, in: Frank-Lothar Kroll & Rüdiger von Voss (Hrsg.) Schriftsteller und Widerstand. Facetten und Probleme der Inneren Emigration, Göttingen: Wallstein, 2012: 45-61.

https://www.deutschlandfunk.de/innere-emigranten-100.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Innere_Emigration

https://www.inhaltsangabe.de/wissen/literaturepochen/innere-emigration/

https://www.theodor-heuss-museum.de/index.php?id=27 https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch/artikel/innere-emigration