Emigration und Exil von Wissenschaftlern und Ingenieuren 1930-1950


Deutsche Emigranten in Lateinamerika, hier speziell in Argentinien und Brasilien



Inhaltsverzeichnis

Lateinamerika als Einwanderungskontinent
Argentinien als wichtigstes Emigrationsland
Brasilien als weiteres Emigrationszentrum
Nationalsozialismus in Brasilien
Folgen des Estado Novo-Nationalismus
Deutsche in Lateinamerika
Leben im Exil
Nazis in Brasilien nach dem Krieg
Schlussfolgerung
Zitierte Literatur
Empfehlenswerte Webpages


Lateinamerika als Einwanderungskontinent



Lateinamerika war seit Jahrzehnten ein Einwanderungskontinent. Um 1824 begannen die Deutschen mit der Auswanderung nach Brasilien. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts kamen jährlich Zehntausende Männer, Frauen und ganze Familien aus vielen europäischen Ländern über den Ozean, um hier für immer oder für eine längere Zeit eine neue Existenz zu finden. Die Motive, die sie zum Verlassen ihrer angestammten Heimat veranlassten, waren verschieden. In den 1920er und frühen 1930er Jahren kam eine weitere große Welle deutscher Einwanderer zu Zehntausenden aufgrund der sozioökonomischen Probleme der Weimarer Republik Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg nach Argentinien und Brasilien. Diese neuen Einwanderer hatten stärkere Bindungen zu Deutschland als die Einwanderer, die im 19. Jahrhundert nach Brasilien gekommen waren, weshalb unter ihnen auch eine beträchtliche Anzahl von Nationalsozialisten waren (s.u.), aber es gab auch einen großen Anteil von Juden unter den c.270.000 bis 1933 nach Argentinien bzw. 55.000 nach Brasilien migrierten Deutschen. Während der zwölf Jahre des „1000jährigen Reiches“ emigrierten zwischen 75.000 und 90.000 Personen nach Südamerika (Kohut & von zur Mühlen 1994 bzw. Krohn et al. (Hrsg.) 1998: 183). Die meisten davon (zwischen 80 und 90% waren jüdischer Herkunft und kamen 1937/38, da Südamerika anfangs kein "Wunschziel“ der ersten Emigrationswelle ab 1933 gewesen war, aber nach Kriegsausbruch die Einwanderungsbeschränkungen in den meisten Ländern Südamerikas massiv verschärft wurden. Nach Argentinien emigrierten ab 1933 dann mindestens 30.000 jüdische Emigranten (von 35.000 insgesamt), nach Brasilien mindestens 7.500 Juden (von 16.000 insgesamt). Während des Zweiten Weltkrieges lebten Emigranten aus Hitlerdeutschland nachweislich in achtzehn der zwanzig Länder Lateinamerikas: in Argentinien, Chile, Brasilien, Uruguay, Paraguay, Bolivien, Peru, Ecuador, Kolumbien und Venezuela, in Panama, Costa Rica, Honduras und Guatemala, in Mexiko, Kuba, Haiti und in der Dominikanischen Republik. Aus Österreich flohen ab 1938 ca. 12.000 jüdische Emigranten nach Lateinamerika (laut Strauss 1983: XXIII bzw. den länderspezifischen Einträgen in Krohn et al. (Hrsg.) 1998; vgl. ferner Goldner 1977:248-264).
Absolute Zahlen bleiben ungenau: So liegen für Argentinien beispielsweise Zahlen vor, die zwischen 30. 000 und 60.000 Emigranten schwanken. Mittelwerte aus einer Vielzahl von Angaben lassen zumindest Vergleiche darüber zu, in welcher Größenordnung sich die deutsche Lateinamerika-Emigration bewegte und wie der Anteil einzelner Länder war. Danach ergibt sich folgende Übersicht (die Zahlenangaben stammen aus Strauss (1983) XXII; Krohn et al. (Hrsg.) 1998 sowie Krohn 2011 nennen etwas niedrigere Gesamtzahlen von 35.000 bzw. 16.000 für Argentinien und Brasilien, für Bolivien hingegen etwa 10.000 Flüchtlinge, von denen allerdings viele auch wieder in andere Länder wie Argentinien oder Chile weiter zogen, da die Lebensbedingungen dort eher an europäische Lebensverhältnisse erinnerten):

Emigrationsland   Gesamtzahlen   Jüdische Migranten (vor 1933) im Land nach Strauss 1983: XXII (mit Zuwachszahlen aller, auch nicht-jüdischer Immigranten ab 1933)
Argentinien 45.000 20-30.000
Brasilien 25.000 12-15.000
Chile 12.000 25-30.000 (200 in 1933-36, 1.000 bis 7/38, 2.000 in 5-9/39, 4-6.000 in 1940, 12.500 bis Ende 1942)
Bolivien 5.000 100 (2.000 bis 1938, 6.000 bis 1939, 3.400 April-Sept. 1939, 6-10.00 bis Mai 1940; Judenbann
Mexico 1.500 45.000 (1970), darunter 400 im Jahr 1942, ca. 1.500 Deutsche Juden verließen Mexiko bis 1947
Kolumbien 2.000 2.045 (1935), 5.000 (1940), 6625 (1943); bis 1937 + 2.347, 1938 + 1.400, bis 1940 c.5.000 weitere
Uruguay 7.000 30.000 (500 in 1933, 1.500 bis 1935, 1.262 in 1936, 7.000 bis 1940, darunter ca. 50% echte Immigranten, die anderen nur im Transit
Paraguay 800 1.700 (+ c.1000 bis 1940, meist im Transit
Ecuador 1.000 400 (bis 1933), +1.000 (1933-39), 2.700 bis 1943, 2.500 bis 1945, davon 2.500 aus Zentralamerika
Kuba 8.000 (1925), 12.000 (1952, darunter 7.200 Ashkenasische Juden); 1933 kommen 197, 1.282 bis 1935, 1.550 bis 1936, 2,900 bis 1940, insg. 10-12.000 Immigranten 1933-1944, darunter 5-6.000 Juden aus Deutschland u. 1.500 weitere)


Argentinien als wichtigstes Emigrationsland



Das quantitativ bedeutendste Emigrationsland in Lateinamerika war Argentinien, das bereits seit seiner um 1880 erfolgten politischen und territorialen Konsolidierung eines der klassischen europäischen Einwanderungsländer war, in das bevorzugt Bauern, Siedler, und Landarbeiter, Handwerker und Techniker, Händler und Unternehmer zogen, die sich den dortigen Erschliessungs-, Aufbau-, und Modernisierungsprojekten widmeten und einen beträchtlichen wirtschaftlichen Aufschwung des Landes bewerkstelligten. Seit einem Militärputsch im Sept.1930 regierten nationalistische Kreise, die Gewerkschaften und mißliebige Oppositionelle mit polizeilichen Repressionsmaßnahmen unterdrückten. Deshalb war nur eine kleine, höchstens zehnprozentige Minderheit der nach 1933 ins Land strömenden über 30.000 Emigranten in Argentinien politisch aktiv – die meisten (ca. 30%) übten kaufmännische Berufe aus. Es gab auch eine beträchtliche Anzahl nach Argentinien ausgewanderter Schriftsteller, Schauspieler und bildenden Künstler, die dort eigene Publikationsorgane gründeten und kulturell sehr aktiv waren (Kießling u.a. 1981), während die Zahl der nach Argentinien emigrierten Wissenschaftler sehr überschaubar blieb – berühmte Beispiele wären der Klimatologe, Geograph und Ethnologe Walter Knoche, die Geophysiker und Meteorologe Kurt Wölcken und Otto Schneider, der Virologe Hans Werner Kemski von Rakoszyn sowie der Physiker Richard Ganz und der Astronom Alexander Friedrich Karl Wilkens, der Rechtswissenschaftler Werner Goldschmidt, die Literaturwissenschaftler Ilse Brugger, Guillermo Thiele, Günther Ballin und Eilhard Schlesinger (siehe Arnold Spitta in Krohn et al. (Hrsg.) 1998: 152).



Brasilien als weiteres Emigrationszentrum



Die Bedingungen für die Einreise in Brasilien waren ziemlich streng. Die Einwanderungspolitik war restriktiv, der Familiennachzug war streng geregelt und Tourismus- und Transitvisa boten begrenzte Einreisemöglichkeiten. Ausnahmen gab es für Kulturschaffende und Akademiker. Arbeitserlaubnisse wurden nur im Falle einer Aufenthaltserlaubnis erteilt. Die ungefähre Gesamtzahl der Flüchtlinge, aus dem deutschsprachigen Raum zwischen 1933 und 1945 betrug 16.000–19.000 (Mühlen 1988: 45ff. bzw. Krohn et al.(Hrsg.) 1998: 184ff.), viele davon Juden, die oft mit einem nur temporären Touristenvisum eingereist waren und ohne Starthilfe die ersten Jahre mit unterbezahlten und ihrem Können keineswegs angemessenen Hilfsarbeiterjobs überleben mussten. Handwerker, Techniker, Ingenieure und im Handel erfahrene Emigranten hatten weniger Anpassungsschwierigkeiten; Zwischen 6.000 und 7.000 Exilierte hatten bis 1940 187 kleinere bis mittelgroße Betriebe gegründet, aber Ärzte und Rechtsanwälte bekamen lange keine Zulassung für die Ausübung ihrer Berufe (siehe Kestler in Krohn et al. (Hrsg.) 1998: 185f.).
Brasilien war nach Argentinien das zweitwichtigste Aufnahmeland von Flüchtlingen in Lateinamerika. Die Auswanderung konzentrierte sich auf die Städte Rio de Janeiro, São Paulo und Porto Alegre sowie einige ländliche Siedlungen im Süden. Dort lag auch die Kolonie Rolândia, in der die deutsche Kultur intensiv gepflegt wurde. Viele Exilanten blickten mit Sehnsucht nach Deutschland auf diese Kolonie, die mitten im brasilianischen Dschungel liegt. Ab Anfang 1938 waren fremdsprachige Veröffentlichungen in Brasilien verboten. Nach dem Kriegseintritt Brasiliens wurde die deutsche Sprache in der Öffentlichkeit 1941 verboten. Dies stellte eine starke Einschränkung dar und bedeutete, dass sich die Flüchtlinge mit größerem Engagement an die neue Kultur anpassen mussten.

Jahr                Emigranten                Sao Paolo                Rio Grande do Sul                Parana                Santa Catarina               
1939 87.024 33.397 15.279 12.343 11.293


Nationalsozialismus in Brasilien



Der Nationalsozialismus in Brasilien begann noch vor dem Zweiten Weltkrieg, als die NSDAP politische Propaganda im Land machte, um Anhänger unter den Mitgliedern der deutschen Gemeinschaft zu gewinnen. Es kann nicht behauptet werden, dass die Mehrheit der deutschen Gemeinde in Brasilien der Nazi-Ideologie anhing, aber wichtige Teile dieser Gemeinde wurden von Nazis infiltriert. Die Nazis in Brasilien konzentrierten sich hauptsächlich auf die Geschäfts- und Stadtschichten der deutschen Gemeinschaft und nicht auf die ländlichen Regionen. Nicht alle Mitglieder der NSDAP in Brasilien waren ideologisch engagiert; viele taten dies im Streben nach wirtschaftlichen Vorteilen, die eine solche Mitgliedschaft bieten könnte.

Von der Gesamtzahl der Deutschen in Brasilien gehörten nur 2.822 der NSDAP an, weniger als 5 % der deutschen Gemeinde. Die Nazis verteilten sich von Norden nach Süden auf 17 brasilianische Bundesstaaten, die meisten in drei großen Städten des Landes:

Jahr                Sao Paolo                Rio de Janeiro                Santa Catarina               
1939 785 447 528

Zu dieser Zeit gab es auch 900.000 Brasilianer, die Nachkommen von Deutschen waren, der Partei jedoch nicht beitreten konnten, denn das war den gebürtigen Deutschen vorbehalten.
Es lag nicht im Interesse der Nazis, an den Wahlen in Brasilien teilzunehmen, und ihre Partei wurde nie beim Obersten Wahlgericht Brasiliens registriert. Nach Angaben des damaligen deutschen Botschafters in Brasilien, Karl Ritter, gab es ausdrückliche Vorgaben, dass sich die Partei nicht in die inneren Angelegenheiten Brasiliens einmischen sollte. Die NSDAP operierte in Brasilien von 1928 bis 1938, ohne von der brasilianischen Regierung, die damals von Getúlio Vargas geführt wurde, gestört zu werden. Im letzten Jahr 1938, nach der Errichtung der Estado Novo-Diktatur, wurden die NSDAP und alle anderen ausländischen politischen Vereinigungen für illegal erklärt.



Folgen des Estado Novo-Nationalismus



Die Regierung des Estado Novo förderte die erzwungene Integration der Deutschen und ihrer Nachkommen, die in abgelegenen Gemeinden im Süden Brasiliens lebten. Bei mehreren Gelegenheiten ging die Regierung brutal gegen normale Einwanderer vor, die keine Beziehung zu Nazi-Deutschland hatten.
1940 erklärte Vargas bei einem Besuch in Blumenau, der Stadt der deutschen Kolonialisierung im Bundesstaat Santa Catarina: „Brasilien ist weder Englisch noch Deutsch. Es ist ein souveränes Land, das die Einhaltung seiner Gesetze sicherstellt und seine Interessen vertritt. Brasilien ist brasilianisch. (...) Brasilianer zu sein bedeutet jedoch nicht nur, die Gesetze Brasiliens zu respektieren und die Behörden zu respektieren. Brasilianer zu sein bedeutet, Brasilien zu lieben. Es ist das Gefühl, das es erlaubt zu sagen: Brasilien hat uns Brot gegeben; wir werden ihm unser Blut geben.”
Auch die japanischen Einwanderer und Italiener wurden verfolgt und zum Bekenntnis zu „Brasilien“ gezwungen. Der Fall der Teuto-Brasilianer ist einzigartig, weil sie isolierte Gemeinschaften bildeten, die die Traditionen pflegten und ausschließlich die deutsche Sprache verwendeten.



Deutsche in Lateinamerika



Für die Kommunisten wäre ein Exil in Lateinamerika ihnen wie eine Flucht vor dem Feind erschienen; denn dieser war nicht in Übersee, sondern allein in Europa zu schlagen. Sie harrten auf ihren Posten in den europäischen Exilländern aus, bis sich ein Teil von ihnen im Auftrag ihrer Leitungen in ein neues Wirkungsfeld jenseits des Ozeans einordnete oder bis sie selbst erkannten, dass ihnen ein längeres Verbleiben in Europa keine andere Chance ließ, als früher oder später den faschistischen Gegnern in die Hände zu fallen.
Fast überall - ausgenommen einige Staaten Mittelamerikas - befanden sich unter den Exilierten aus politischen Gründen und wegen der nazistischen Rassengesetze verfolgte Kunst und Kulturschaffende: Schriftsteller, Publizisten, Musiker, Schauspieler, Maler, Architekten und Wissenschaftler aus Lehre und Forschung. Einige wenige dieser Emigrant:innen waren berühmt und genossen nationales und internationales Ansehen. Alle jedoch hatten ein Stück gelebtes Leben in Deutschland, die meisten auch bereits in einem europäischen Exilland hinter sich. Die einen wollten von dem Land nichts mehr wissen, in dem sie geboren und aufgewachsen waren und wo ihnen der herrschende Faschismus jede Daseinsberechtigung streitig machte. Andere betrachteten das Exil als Zwischenaufenthalt, als einen ihnen aufgezwungenen Wechsel des Kampfplatzes. Ob sie zuerst in einem europäischen Exilland gewesen und jetzt nach Lateinamerika gekommen waren, sie blieben Kämpfer gegen den Faschismus, suchten sich mit Gleichgesinnten zu vereinen und Gleichgültige und politisch Unerfahrene von der Notwendigkeit gemeinsamen Handelns zu überzeugen.
Was die deutschen Kommunisten im lateinamerikanischen Exil für den Augenblick leisteten und was davon nach der Befreiung vom Faschismus auf deutschem Boden weiterwirkte, alles, was sie letztlich in die Geschichte des deutschen Widerstandes einbrachten, vermochte sich nur zu verwirklichen in ihrer Einheit mit der deutschen Emigration in allen Ländern Lateinamerikas, in dem von ihnen angestrebten. Bündnis mit anderen deutschen Hitlergegnern, in der Solidarität und Verbundenheit mit den antifaschistischen Bestrebungen und Aktionen der Gastvölker und in dem durch die Tat bewiesenen Bekenntnis zur Anti-Hitlerkoalition. Das Wirken der deutschen Kommunisten in Lateinamerika, unter denen mehrere hervorragende Schriftsteller waren, wird nur verständlich, wenn es eingeordnet ist in die deutsche Gesamtemigration des amerikanischen Teilkontinents. Über 100.000 deutsche Emigrant:innen in Lateinamerika: das waren ebenso viele Einzelschicksale, das waren Menschen, von denen jeder seine individuellen Erfahrungen mit dem Faschismus hatte sammeln müssen. Aber es waren auch Kollektiverfahrungen; vieles, was sie erlebten, hatten in ähnlicher Weise Tausende zu tragen. Jedem Einzelerlebnis hafteten allgemeine Züge an; das betraf Motive und Wege, die nach Lateinamerika führten, ebenso wie die Existenzbedingungen, die der Emigrant in diesem oder jenem Aufnahmeland vorfand. Einzelschicksale vermögen vor allem Einblicke ins Individuelle zu geben. Erst ein Vergleich mit anderen Lateinamerikaemigranten macht gemeinsame Erlebniselemente erkennbar, ob nun Emigranten wie er nach Argentinien und andere nach Brasilien, Uruguay, Honduras oder Mexiko gelangten.
Die Masterarbeit von Stephanie Bujak enthält die folgenden Daten mit Namen und Daten von etwa 250 Emigranten in Lateinamerika, die im Biographischen Hand der deutschsprachigen Emigration aufgeführt sind (sehr überwiegend wurden dort Männer aufgelistet, deren Partnerinnen u. Kinder aber nicht):

Berufsgruppe Menge   Jahr                 Zielort 1 Jahr                Zielort 2
Geistliche 3 1938, 1939 Argentinien
Geistliche 2 1936, 1939 Brasilien 1971 USA
Geistliche 3 1937, 1939 Chile
Geistliche 2 1935 - 1939 UK, Italien 1940 Brasilien
Geistliche 2 1939 Bolivien, Italien 1939, 1950 Chile, Uruguay
Geistliche 2 1934, 1937 Schweiz 1936, 1938 Argentinien
Naturwissenschaftler 1 1936 USA 1937 Brasilien
Naturwissenschaftler 1 1938 Niederlande 1938 Argentinien
Naturwissenschaftler 2 1934, 1938 Brasilien
Öffentlicher Dienst 11 1935 - 1940 Brasilien
Öffentlicher Dienst 9 1934 - 1939 Argentinien
Öffentlicher Dienst 10 1936 - 1939 Argentinien
Öffentlicher Dienst 10 1936 - 1939 Chile, Uruguay 1957 - 1960 Deutschland
Öffentlicher Dienst 6 1932 - 1938 UK, FR, CH, NL 1935 - 1939 Argentinien
Öffentlicher Dienst 11 1933 - 1938 UK, FR, CH, NL, Österreich 1934 - 1940 Brasilien
Öffentlicher Dienst 6 1933 - 1938 FR, UK, NL, Italien, Prag 1939 - 1940 Chile, Uruguay
Politik 3 1938, 1939 Argentinien
Politik 5 1933 - 1939 Brasilien
Politik 2 1933 Uruguay
Politik 2 1932, 1938 Paraguay, UK 1935, 1939 Argentinien
Politik 2 1933,1939 Belgien, CH 1939, 1940 Brasilien
Professur 8 1934 - 1940 Argentinien
Professur 14 1934 - 1938 Brasilien
Professur 3 1936 - 1939 Chile, Uruguay
Professur 4 1933 - 1938 NL, ES, UK 1934 - 1939 Argentinien
Professur 11 1933 - 1938 Belgien, SW, UK, FR, Irland 1935 - 1946 Brasilien
Professur 2 1936, 1938 Brasilien, EU 1937, 1939 Uruguay
Wirtschaft 3 1938, 1939 Argentinien
Wirtschaft 5 1933 -1941 Argentinien
Wirtschaft 21 1933 - 1941 Brasilien
Wirtschaft 5 1935 - 1941 Chile, Uruguay
Wirtschaft 5 1933 - 1939 CH, NL, UK, FR 1938 -1942 Argentinien
Wirtschaft 12 1933 - 1939 FR, SW, Prag, BE, UK, NL 1935-1946 Brasilien
Wirtschaft 3 1933 - 1940 Belgien, Italien 1939, 1940 Chile, Uruguay
Kunst 10 1933 - 1940 UK, FR, Prag, Bolivien 1939 - 1960 Chile, Uruguay
Kunst 17 1933 - 1939 Polen, FR, Österreich, UK, Prag, Uruguay 1935 - 1942 Argentinien
Kunst 5 1933 - 1938 Chile, FR, Belgien, Moskau 1938 - 1952 Brasilien
Kunst 16 1933 - 1940 Argentinien 1934 - 1953 UK, USA, DT
Kunst 11 1933 - 1939 Brasilien 1938 - 1941 USA, Argentinien
Medizin 2 1936, 1939 Chile 1952 Israel
Medizin 2 1939 Argentinien
Medizin 1 1936 Brasilien
Medizin 2 1938, 1939 Bordeaux, USA 1938, 1940 Brasilien

Zusammenfassend haben wir 150 im Biographischen Handbuch erfasste Personen, die direkt nach Lateinamerika emigrierten, und 108 Personen, für die Lateinamerika das zweite Ziel war. Eine sehr kleine Zahl von Menschen, die nach Lateinamerika einwanderten, verließen es dann wieder. Da es ein guter Ort zum Leben für Emigranten war, entschieden sich die meisten, zu bleiben.



Leben im Exil



Das antifaschistische Exil - getragen von großen geistigen Prozessen, politischen und kulturpolitischen Debatten und Auseinandersetzungen über das Woher, Wofür und Wohin des Kampfes ist die Geschichte von Umständen und Bedingungen, von politischen, sozialen und kulturellen Zusammenschlüssen, von Organisationen, Komitees und Vereinigungen, von Kundgebungen, Kongressen und anderen Manifestationen, von Theaterbühnen, von Zeitungen, Zeitschriften und Verlagen. Andere, wie das Komitee Deutscher Antifaschisten in Kuba, die Freie Deutsche Bühne in Buenos Aires oder die Zeitschrift, „Deutsche Blätter" in Santiago de Chile, müssen künftigen Veröffentlichungen vor behalten bleiben. Die zum Gesamtbild des antifaschistischen Exils in Lateinamerika gehörende Geschichte der Bewegung Freies Deutschland in Mexiko und des Lateinamerikanischen Komitees der Freien Deutschen sind nur angedeutet. Das Lateinamerikanische Komitee der Freien Deutschen bildete den föderativen Zusammenschluss von Organisationen und Gruppierungen deutscher Hitlergegner und von antifaschistischen Einzelpersonen, die sich in diesem Teil der Welt zu den Zielen der Bewegung Freies Deutschland bekannten. Das Lateinamerikanische Komitee umfasste mindestens 17 500 deutsche Antinazis - etwa 10000 Emigranten und 7.50012 Auslandsdeutsche. Präsident war Ludwig Renn, Ehrenpräsident Heinrich Mann. Dem Ehrenpräsidium gehörten unter anderen die Schriftsteller Anna Seghers und Balder Olden an. Aussagekräftig ist auch das Beispiel von El Libro Libre, dem bedeutendsten deutschen Exilverlag in Lateinamerika. Im Mai 1946- der Verlag hatte einige Monate zuvor seine Tätigkeit beendet - schrieb sein Lektor Paul Mayer in der in Mexiko erscheinenden Zeitschrift ,Neues Deutschland: Wenn einmal die Geschichte des deutschen Geistes im Exil geschrieben werden sollte, so wird der künftige Historiker dem Verlage El Libro Libre in Mexiko einen ehrenvollen Platz anweisen müssen."
Südamerika war für den Lyriker und Erzähler Paul Zech, der bereits 1933 dorthin emigrierte, ,,ein riesenhafter Kessel so zusagen, wo viele junge Energien einfließen, sich sammeln und zweckhaft gesichtet, geordnet und verwandelt werden. Wo man die zufällig Einreisenden in keinem Falle mit dem bürokratisch-misstrauischen Augenaufschlag, oder mit einem verwunderten Erstaunen, fragt: Woher? Wer bist du?' Wo man aber ganz eindeutig zu wissen begehrt: ‘‘Wohin? Was kannst du?" Wo man die natürlichen Kräfte, die hineinpassen in diesen Handel und Wandel, abwägt, prüft und wertet, und nur die Funktionen in den allgemeinen Dienst stellt, die sich leicht realisieren lassen Während man das, zur letzten Ausstrahlung in den Retorten des Geistes, Hochgebildete herumreichte wie eine anstaunenswerte, aber auch ebenso rasch satt gesehene schöne Rarität,"

Nazis in Brasilien nach dem Krieg



Nach der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg flohen viele Nazis, die von den Alliierten als mutmaßliche Kriegsverbrecher gesucht wurden, nach Brasilien und versteckten sich unter den deutsch-brasilianischen Gemeinden. Laut einigen Quellen haben deutsche Staatsanwälte Geheimdokumente aus Brasilien und Chile untersucht, aus denen hervorgeht, dass nach dem Krieg bis zu 9.000 Nazis und Kollaborateure aus anderen Ländern aus Europa in südamerikanische Länder geflohen sind. Allein in Brasilien kamen zwischen 1.500 und 2.000 Kriegsverbrecher an. Weitere 500-1000 ließen sich in Chile nieder und die meisten – bis zu 5.000 – in Argentinien.
Die meisten Nazis, die nach Südamerika geflüchtet waren, reisten mit Rotkreuz-Pässen in die Länder ein, in die sie emigrierten. Zu wenige von ihnen wurden vor Gericht gestellt. SS-Oberst Walter Rauff, der die mobilen Gaskammern schuf, in denen mehr als 100.000 Menschen getötet wurden, starb 1984 in Chile. Eduard Roschmann, genannt der Metzger von Riga, starb 1977 in Paraguay. Gustav Wagner, ein bekannter SS-Offizier (``Like the Beast‘‘) starb 1980 in Brasilien, nachdem der Oberste Gerichtshof Brasiliens seine Auslieferung wegen "Unstimmigkeiten" in seinen Handlungen verweigert hatte. Der bekannteste Fall war Josef Mengele, ein Arzt, der im Konzentrationslager Auschwitz als "Engel des Todes" bekannt wurde. Mengele führte medizinische Experimente mit lebenden Menschen durch, immer ohne Betäubung, um die Vollkommenheit der arischen Rasse zu erforschen. Ein guter Teil der Opfer ihrer "wissenschaftlichen Experimente" waren Zwerge und Zwillinge. Mengele lebte von 1970 bis 1979 versteckt im Landesinneren des Bundesstaates São Paulo, als er in Bertioga an der Küste des Bundesstaates São Paulo ertrank, ohne jemals erkannt zu werden.
Aufgrund der großen Zahl deutscher Einwanderer aus Argentinien (mehrere Hunderttausend) unterhielt der südamerikanische Staat enge Verbindungen zu Deutschland. Im Zweiten Weltkrieg blieb Argentinien neutral, doch nach dem Krieg befahl Präsident Juan Peron Diplomaten und Geheimdiensten, den Grundstein für sogenannte Fluchtwege durch spanische und italienische Häfen zu legen, über die ehemalige SS-Offiziere und NSDAP-Angehörige aus Europa ausreisen konnten. Wie andere profaschistische Führer in Südamerika wurde Peron von den Ideologien Hitlers und Mussolinis angezogen. Als Militärattaché in Italien hatte er sich der rechten Ideologie genähert. Aber Peron hatte noch einen anderen Grund, Nazi-Flüchtlinge aufzunehmen: Er wollte diese Nazis mit der militärischen und technischen Expertise rekrutieren, die sein Land brauchte. Schließlich hatten die Amerikaner und die Sowjets dasselbe getan.



Schlussfolgerung



Aus dem oben genannten kann beschlossen werden, dass Lateinamerika letztlich ein von den meisten Emigranten oder Exilanten begehrter Zufluchtsort war. Obwohl sie sich an bestimmte lokale Regeln halten mussten, waren sie angesichts der deutschen Gemeinschaften, die sich im Laufe der Zeit in diesen Gebieten gebildet hatten, bereit, die Änderung vorzunehmen. Mit mehr Lebenssicherheit als in Deutschland und geringerem Identitätsverlust als in anderen Emigrationsländern gehörten lateinamerikanische Länder zu den Favoriten der Emigranten.

[CB und KH]


Zitierte Literatur



Hannah Arendt: We Refugees (1943), online verfügbar unter https://amroali.com/2017/04/refugees-essay-hannah-arendt/ (Zugriff am 10.1.2022)
Mitchell G. Ash & Alfons Söllner (Hrsg.) Forced Migration and Scientific Change after 1933, Cambridge 1996.
Ernst Barlach: Als ich von dem Verbot der Berufsausübung bedroht war, Gedruckt in Barlachs Schriften in eigener Sache (1906-1937), Hamburg 1949 u. öfter, online verfügbar unter https://www.projekt-gutenberg.org/barlach/schriften/chap007.html
Stephanie Bujak: Visualisierung deutschsprachiger Emigration nach 1933 anhand geotemporaler Karten, Masterthesis Univ. Stuttgart, 2018.
Franz Goldner: Die Österreichische Emigration 1938 bis 1945, Wien & München: Herold, 1977.
Wolfgang Kießling u.a.: Exil in Lateinamerika (= Zu Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945, Band 4), Frankfurt: Röderberg, 1981.
Karl Kohut & Patrik von zur Mühlen (Hrsg.): Alternative Lateinamerika. Das deutsche Exil in der Zeit des Nationalsozialismus, Frankfurt: Verfuehrt, 1994.
Patrik von zur Mühlen: Fluchtziel Lateinamerika. Die deutsche Emigration 1933-1945, Bonn 1988.
Claus-Dieter Krohn u.a. (Hrsg.) Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945, Darmstadt 1998, darin insb. Teil II, S. 143-161, 174-203, 208-212, 437-445.
Claus-Dieter Krohn: Emigration 1933–1945/1950, Europäische Geschichte online, 2011.
The Cambridge History of Science Bd. 8: Modern Science in National, Transnational and Global Context, hrsg .v. Hugh Richard Sloten, Ronald L. Numbers, David N. Livingstone, Cambridge 2020, darin Marilia Coutinho & Simon Schwartzmann über Brasilien, 797-809 sowie Hebe Vessuri über Lateinamerika, S. 810-822.
Herbert A. Strauss: Introduction, in: International Biographical Dictionary of Central-European Emigrants 1933-1950, München 1983 (Reprint 1999), S. XI-XXVI.


Empfehlenswerte Webpages:



https://www.ushmm.org/exhibition/st-louis/teach/supread2.htm
https://www.historia.ro/sectiune/general/articol/cum-a-ajuns-america-de-sud-paradisul-nazistilor
https://exilarchiv.dnb.de/DEA/Web/EN/Navigation/LaenderDesExils/Brasilien/brasilien.html
https://ziare.com/magazin/descoperire/descoperire-socanta-tezaur-nazist-razboi-rio-janeiro-brazilia-1706409
https://www.aicgs.org/2017/11/shattered-by-glass/
https://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Themen/brasilien.html
https://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Themen/rio-de-janeiro.html
https://lateinamerika-nachrichten.de/artikel/deutsches-exil-in-lateinamerika/
http://ieg-ego.eu/de/threads/europa-unterwegs/politische-migration/claus-dieter-krohn-emigration-1933-1945-1950