Günther Anders

Anders Jaspers Jungk Weizsäcker

Biographie

Günther Anders wurde am 12. Juli 1902 als Günther Stern in Breslau geboren. Nach dem Abitur studierte er Philosophie. Aufgrund der Machtergreifung der Nazis flüchtete Anders 1933 nach Paris und anschließend nach Amerika. Dort machte er die Erfahrung mit Gelegenheitjobs, unter anderem als Fabrikarbeiter, um über die Runden zu kommen. 1950 kehrte er nach Europa zurück. In seinem Hauptwerk "Die Antiquiertheit des Menschen I" (1965) findet sich die erste Auseinandersetzung mit dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima. Zwei Jahre darauf reist Anders nach Japan mit der Teilnahme an einem Kongress gegen Atom- und Wasserstoffbomben. Dabei entsteht das Hiroshima-Tagebuch "Der Mann auf der Brücke". Günther Anders starb am 17. Dezember 1992. Wo?

Wirkung der Schrift

Günther Anders handelte sich für seinen Einsatz gegen die atomare Bedrohung den Titel "Atompfarrer vom Dienst" ein. Seine Schrift "Über die Bombe und die Wurzeln unserer Apokalypse - Blindheit", die er unter einer sehr pessimistischen Weltsicht darlegte, stieß unter Philosophen auf Skepsis. Stattdessen erregte Karl Jaspers mit seinem Buch "Die Atombombe und die Zukunft des Menschen" weit aus mehr Aufsehen. Auf Anders wurde man schließlich erst aufmerksam, als es zu den Anti-Atom- und Friedensbewegungen kam.

"Über die Bombe und die Wurzeln unserer Apokalypse - Blindheit"

Was ist die Bombe?
Für Günther Anders wurde die Atombombe zu etwas Zerstörerischem, was man nicht mehr begreifen kann. So beschreibt er diese als "sui generis". Ihr Charakter besteht darin, dass sie die Unterscheidung zwischen Probe und Ernstfall auslöscht. Damit kritisiert Anders, dass es die Bombe als Experiment nicht gibt. Früher waren in der Wissenschaft die Experimente isoliert und konnten erst durch technische Auswertung oder industrielle Anwendung zu geschichtlichen Realitäten werden. Die Insularität des Probefeldes schützte somit die Welt vor möglichen Auswirkungen. Die Testzündung der Bombe bedeutete nach Anders jedoch, dass diese die Welt nun selbst in ein Labor verwandelte. Denn dieses "Experiment" hat Konsequenzen, was bedeutet, dass es bereits geschichtliche Wirklichkeit ist.
Somit sieht Anders in der Bombe, im Gegensatz zu anderen technischen Gebilden, kein Mittel mehr. Ein Mittel hat in seinem Zweck aufzugehen. Die Bombe jedoch überschreitet jeden Zweck und löscht somit jedes Mittel-Zweck-Prinzip mit samt der Menschheit aus. Denn da es nach einem Einsatz keine weiteren Zweckbestimmungen mehr gäbe, ist der Effekt der Bombe einfach zu groß, um noch Mittel zu sein. Gleichzeitig behauptet Anders, dass die Bombe paradoxerweise dennoch stets als Mittel eingesetzt wird.

Was bedeutet die Bombe für den Menschen?
Den permanenten Einsatz der Bombe sieht Anders nicht nur in der möglichen Verwendung oder dem bloßen Besitz, sondern bereits in der Existenz der Bombe. Folglich wird sie automatisch zur "Ding gewordenen Erpressung". Jedoch gilt diese Erpressung nicht nur für den Feind, sondern auch für den "Besitzer" der Bombe. Das Ausmaß ihres Effekts ist so ungeheuer und der räumliche sowie auch zeitliche Streuradius so unbegrenzt, dass sie zwangsläufig über jedes Ziel hinausschießt. Folglich bringt dies wiederum Rückschläge mit sich. Anders sieht die Menschheit also in einem Zustand der Selbsterpressung, da die Bombe lediglich alle oder niemanden erpressen kann.
Eine einleuchtende Überlegung Anders´ ist, dass sich an diesem Zustand nichts ändern würde, wenn es keine Atombomben mehr gäbe. Diese Behauptung untermauert er damit, dass neben Konstruktionsanleitungen und industriellen Blaupausen, stets das Wissen über die Bombe vorhanden sein wird. Denn der Mensch ist unfähig einmal Gekonntes oder Gewusstes plötzlich nicht mehr zu können oder nicht mehr zu wissen. Die Idee überlebt immer.

Wer hat Schuld?
Zwar wird die Bombe ständig eingesetzt, jedoch kann sie niemandem eindeutig zugerechnet werden. Anders fordert an diesem Punkt eine Moraldiskussion. Die Bombe betreffe nicht nur diejenigen, die sie konzipiert haben und verantwortlich sind, sondern alle. Dies begründet er damit, dass jeder bis heute Unschuldige schuldig wird, indem er denen, die die Gefahr noch nicht erkennen, nicht die Augen öffnet. Folglich liegt die Schuld also nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart und Zukunft. Jedoch widerspricht diese Argumentation der weiteren Behauptung, die Menschheit sei apokalypse-blind. Somit muss folglich jeder eine gewisse Schuld auf sich nehmen.

Was bedeutet Apokalypse-Blindheit?
Anders kritisiert, dass trotz der Bedrohung durch die Atombombe und die zahllosen Möglichkeiten an Kommunikationsmitteln, die Gefahr lediglich zur Kenntnis genommen wird. Ihm fehlt die angstvolle Erwartung gegenüber dem Ende. Demnach ist die Unfähigkeit zur Angst, angesichts der drohenden Weltzerstörung, bestimmend für unser Zeitalter. Die Menschen sind apokalypse-blind. Die Ursache sieht der Philosoph zum einen im philosophisch-anthropologischen Bereich und zum anderen im geschichtlichen Bereich.

Was ist die geschichtliche Ursache?
Der Fortschrittsglaube des 19. Jahrhunderts ist einer der Hauptgründe für die Unfähigkeit sich ein atomares Ende vorzustellen. Dies liegt daran, dass dieser unsere Einstellung auf die Zukunft bestimmt. Dabei handelt es sich um die Vorstellung des niemals endenden Besser-Werdens der Welt. Da nur das "Bessere" galt, gab es weder Gutes noch Schlechtes und erst recht kein schlechtes Ende. Die Geschichte konnte sich nur positiv entwickeln. Dieses Nicht-Ende gilt für den Fortschrittsgläubigen universell, auch für das eigene Leben. Somit ist dem Mensch das eigene Ende nicht transparent, er unterschlägt den eigenen Tod. Der Verlust der Apokalypse-Angst steigerte die Selbstsicherheit des Menschen. Man glaubt kein Ende - man sieht kein Ende.

Was ist die philosophisch-anthropologische Ursache?
Zum einen sah Anders im medialen Menschen das Problem. Demnach wird von jedem arbeitenden Menschen ein aktiv-passiv-neutrales Mit-Tun verlangt. Dies gilt für jeden Betrieb. Das Bedeutet, dass die Arbeiter kein Ziel verfolgen und somit nach Anders auch den Bezug zur Zukunft verloren haben. Der Mensch ist gewissenlos, da seine Tätigkeiten kein Gewissen erwünschen und somit jedes hergestelltes Produkt moralisch neutral wird. Dadurch ist der Mensch unfähig zu erkennen, was es mit der Atombombe auf sich hat.
Als zweite Ursache nennt Anders das Prometheische Gefälle. Das menschliche Vorstellungsvermögen steht im Verhältnis von Größe und Maß. Demnach werden unsere Fähigkeiten umso begrenzter, je größer das Vorzustellende ist. So wissen wir beispielsweise um die atomaren Folgen eines Krieges, aber wir begreifen sie nicht. Die Differenz zwischen Handeln und Fühlen wird durch die moderne Technik zusätzlich vergrößert. Als Folge sinkt die Fähigkeit vor Angst und Reue.

Welchen Einfluss hat die Bombe auf die Geschichte?
Wie bereits erläutert, nimmt die Bombe unter den technischen Gebilden eine exklusive Stellung ein. So sieht Anders in ihr die Macht, die Geschichte radikal zu ändern. Demnach lebt die Menschheit in der heutigen Zeit nicht mehr in einer Epoche, sondern im "letzten Stück Geschichte". Begründet wird dies damit, dass unser Dasein jeder Zeit durch atomare Sprengkraft beendet werden kann. Günther Anders sieht hier den Übergang in eine weitere Epoche versperrt und spricht daher von einem Übergang in Form von "Untergang der gesamten Geschichte". Somit setzt er das Wesen unserer "Epoche" mit der Vergänglichkeit gleich. Übrig bleiben würde ein Weltfriedhof ohne Hinterbliebene. Folglich könnte sich dann auch niemand mehr unserer Geschichte erinnern oder sie überliefern. Letztendlich lebt die Menschheit nach Anders´ Philosophie in einem Zeitraum der "Frist".

"Der Mann auf der Brücke" (1. Auflage)

Reise nach Hiroshima

1958 wurde Günther Anders vorgeschlagen, als Delegierter an der Fourth World Conference against A- and H-Bombs and for Disarmament in Tokio teilzunehmen. Dort arbeitete er in der Kommission "Moralische Verpflichtungen im Atomzeitalter". Zwei Chancen wollte Anders auf dieser Reise nutzen: zum einen die Begegnung mit den postatomaren Menschen, welche langsam an den Folgen starben und zum anderen war es wichtig für Anders, sich mit den Gegnern der nuklearen Aufrüstung auszutauschen. Ziel waren weitere effektive Schritte gegen die drohende Gefahr.


Das Buch: "Der Mann auf der Brücke"

Gleich zu Beginn des Buches findet man eine eindringliche Beschreibung des Mannes auf der Brücke. Er ist titelgebend für das Buch. Es handelt sich um einen Musiker ohne Hand und Gesicht. Wie ein Halbroboter spielt er mit seiner metallenen Ersatzhand ein Zupfinstrument. Dieser Mann auf der Brücke symbolisiert den Schatten jenes Mannes, der bei dem Atombombenabwurf an eben dieser Stelle verdampfte.

"Auf einer der Hiroshimabrücken steht einer, der singt und in die Saiten greift. Blickt ihn an. Wo Ihr sein Gesicht erwartet, da werdet Ihr kein Gesicht finden, sondern einen Vorhang: Weil er kein Gesicht mehr hat. Und wo Ihr seine Hand erwartet, da werdet Ihr keine Hand finden, sondern eine stählerne Klaue: Weil er keine Hand mehr hat." (Der Mann auf der Brücke 1959)

Bevor Günther Anders seinen eigentlichen Aufenthalt in Hiroshima schilderte, bildete er folgendes Gedicht ab: "Tafel auf einem Schutthaufen". 1945.

Hier lag eine Stadt.
Hatte einen Namen.
Schutt und Asche - amen -
blieb an Ihrer Statt.

Die noch gestern hier
Gingen oder kamen,
Liegen heute - amen -
Unter Ihr.

Keiner rühr´ sie an.
Daß ihr nackter Rahmen
zeige, was Ihr - amen -
Selbst Euch angetan.

Auffällig ist, dass sowohl die Opfer als auch die Stadt ihrer Anonymität belassen werden. Anstatt durch Namen werden die Leerstellen auf der Tafel durch ein "amen" aufgefüllt. Die vierte Strophe weist darauf hin, dass die Zerstörung nicht zerstört werden soll. Somit wird der gesichtslose "Schutthaufen" dem Ausmaß der Vernichtung gerecht.

Als Günther Anders in Hiroshima ankam, war er schockiert. Der Wiederaufbau erinnerte ihn nun an jede Großstadt, wie beispielsweise Los Angeles. Diese neue Stadt auf dem Boden Hiroshimas empfindet Anders extrem negativ. So bezeichnet er sie als "Zerstörung der Zerstörung". So scheint nun alles zeitneutral, als wäre es immer schon so gewesen.

"Die sichtbaren Dinge: die neuen Häuser, die unterschlagen das Gewesene genauso, wie die Zeitungen es tun oder die Alltagsgespräche." (Der Mann auf der Brücke 1959, S.81)

Weiter kritisiert Anders, dass der Zerstörung lediglich ein dingliches Denkmal gesetzt wird. Dies zeichnet sich aus durch den Atombombendom und dem Mahnmal im Zentrum der Explosion. Nach Anders haben alle Denkmäler dasselbe Defizit wie Symbole: sie können die Wirklichkeit eben nur symbolisch und nicht wirklich vergegenwärtigen. Nur das Ganze der Zerstörung wäre das Wahre. Anders ging sogar so weit sich zu fragen:

"Man kann sich fragen, ob es nötig war, hierher zu kommen. Denn von der Wahrnehmung wird das Gefühl, das sich hier gebührt, ja nicht diktiert. Sondern eben vom Wissen - und das hat man ja auch, ohne physisch da zu sein." (Der Man auf der Brücke 1959, S.81f.)

Ebenso wie von der Stadt ist Anders auch von den Menschen überrascht. Er muss erkennen, dass die Opfer nicht zu den Lieblingen der Stadt gehören, da es den "neuen" Hiroshima - Bewohnern zu viel wird, stets an das Ereignis erinnert zu werden. So zogen sich die Überlebenden zurück, wurden scheu und verschämt. Anders, der die Verhältnisse nicht verstehen kann, versucht in Gesprächen herauszubekommen, wie es dazu kommen konnte. Die Gesunden verstünden einen ja doch nicht, da sie nicht wüssten, was es heißt, atomkrank zu sein.
Es kam ein Treffen zustande, bei dem Anders sich mit den Atomopfern unterhalten konnte. Seinem Unverständnis ließ er freien Lauf in der er festhielt:

"Von der Katastrophe sprechen sie durchweg wie von einem Erdbeben, wie von einer Überschwemmung oder einer explodierenden Sonne. Die Konsequenz, mit der sie den Täter auslassen, mit der sie unterschlagen, dass das Ereignis Menschen gemacht war; und mit der sie, obwohl Opfer des größten Verbrechens, nicht das mindeste nachtragen - das ist mir zu viel, das geht nicht mit rechten Dingen zu." (Der Mann auf der Brücke 1959, S.108)

Selbst als Anders zu den Sterbenden ins Hospital fuhr, fand er weder Todesangst noch mimisches Leiden.

 

Anders Jaspers Jungk Weizsäcker

Letzte Änderung: 12.01.12 - DO