Der Codex

Zweck, Farbeinsatz und Vergleich mit anderen Handschriften

Der Zweck der Handschrift

Beim " büch der stryt vnd buchßen " handelt es sich wahrscheinlich um eine Präsentationsschrift. Unter Verwendung von 70 überwiegend kolorierten Zeichnungen konnte der Büchsenmeister Philipp Mönch, den Fürsten, denen er seine Dienste als Büchsenmeister anbot, das Spektrum seiner Fähigkeiten als Artilleriemeister, Konstrukteur und Ingenieur verdeutlichen.

Womöglich war es dem durchaus gebildeten Büchsenmeister Philipp Mönch bewusst, dass die Adressaten seines Werkes, in Anbetracht der im 15. Jahrhundert nur wenig verbreiteten Beflissenheit in Lesen und Schreiben, mit ausführlichen schriftlichen Erläuterungen wenig anfangen konnten. Darum hatte er seine Präsentation auf die visuelle Darstellung angelegt.

Durch die anschaulichen Zeichnungen war der Büchsenmeister Philipp Mönch in der Lage, die entscheidenden Informationen über den Umgang mit Schießpulver sowie über die Anfertigung und Handhabung von schweren Geschützen für die verschiedensten Angriffs- und Verteidigungsstrategien verständlich darzulegen. Das Leistungsspektrum wurde durch die Herstellung von technischem Beiwerk für den militärischen sowie für den zivilen Bedarf abgerundet.

Die Bilderfolge in der Handschrift scheint einer einfachen Gliederung zu folgen. Die Titelseite präsentiert Informationen zu Autor, Inhalt, Titel und Entstehungszeit der Bilderhandschrift. Darauf folgt die Darstellung eines idealen Heerzuges, ähnlich einer Militärparade, bei welcher Rüstungen und Waffen der Fußsoldaten und der Kavallerie sowie schwere Geschütze neben einer imposanten fahrbaren Militärmaschine mit Feuergeschützen und Rammbock gezeigt werden.

In den weiteren Darstellungen werden verschiedenartige Kriegs- und Hilfsgeräte einzeln vorgestellt, mit welchen die Kriegsführung bis auf die Eroberung der Burg des Feindes erleichtert werden soll. Bei den Hilfsgeräten sind auch Getriebe für Brunnen, Baukräne, eine Wassermühle für die Bewässerung der Äcker und sogar ein Schwimmgürtel vorhanden. Damit liefert das Büchsenmeisterbuch auch wichtige Informationen zur zivilen Technik, wie sie etwa im Baubetrieb oder im Bergbau und in vielen anderen Bereichen des Alltags zum Einsatz kam.

Farbliche Ausstattung der Handschrift

Die Farben wurden vom Illustrator bewusst eingesetzt, um die Stofflichkeit der verschiedenen Materialien zu verdeutlichen. Somit wurden durch ocker-gelbe bis braune Töne Holzteile, Seile und Taue definiert. Die roten bis rot-braunen Farbtöne wurden der Darstellung von Mauerwerk und von Kleidung vorbehalten. Mit blau-grauen Tönen wurden metallene Bauteile, Beschläge, Zahnradwerke, Schienen, Zangen, Kurbelstangen und Waffenspitzen sowie Rüstungen und Wasser verdeutlicht. Verschiedene grüne Töne erscheinen in der Darstellung von Landschaften, wobei die Landschaft in dieser Bilderhandschrift eher als Beiwerk anzusehen ist, denn die meisten Darstellungen von Büchsen, Geräten und Werkzeugen wurden nämlich folienartig auf einem blanken Hintergrund und ohne räumliche Bezüge ausgeführt.

Das Interesse für die unterschiedlichen Stofflichkeiten, ging soweit, dass der Illustrator bei Materialien aus Holz oft bemüht war, die Holztextur durch eine naturalistische Darstellung der Maserung zu definieren. Dadurch lässt sich z.B. der Unterschied zwischen den ockergelben Holzteilen der Konstruktionen und den ebenfalls in Ockergelb dargestellten Büchsen bestens erkennen. Anhand der angestrebten Wirklichkeitstreue bei der Wiedergabe der Farben und der Stofflichkeiten kann man sich die einheitliche Färbung der Büchsen in Ockergelb möglicherweise durch die Eigenarten der metallenen Legierung erklären, vielleicht Bronze, welche für die Herstellung der Büchsen eingesetzt wurde.

 


Geschütz; Buch der Stryt und Büchsen: cpg 126, fol. 22v

 

Vergleich mit anderen Handschriften


Strichkonkordanz zwischen den Handschriften cpg 126; HS 8; WF328

 

Die Zeichnungen Philipp Mönchs stehen bei aller Eigenständigkeit und bei allem Erfindungsreichtum auch in einem überlieferungsgeschichtlichen Kontext. Es existierte ein enger Austausch von Zeichnungen mit seinem Berufskollegen Martin Merz. In mehreren Handschriften Merz's treten insbesondere die auch bei Mönch präsenten Zeichnungen von Büchsen mit verschiedenen Lafettierungen und von Geschützwägen auf (München, Cgm 734 und Cgm 599, Wien, Museum Liechtenstein, HS 8). Bezüge zu realem Gerät eröffnet das Landshuter Zeughausinventar (Heidelberg, Universitätsbibliohek, Cpg 130). Von Mönch aus sind die Zeichnungen in zwei große Sammelhandschriften an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert übernommen worden, in das Kriegsbuch des Ludwig von Eyb (Erlangen, Universitätsbibliothek, Ms B 26) und in das Weimarer 'Ingenieurkunst- und Wunderbuch' (Weimar, Stiftung Weimarer Klassik, Anna Amalia Bibliothek, Fol 328).

Insbesondere bei jenen Handschriften, die in unmittelbarem Austausch stehen, eröffnen sich interessante Vergleichsmöglichkeiten. Diese können sich auf die spezifische Art und Weise der Kopiertätigkeit beziehen. Wie gezeigt werden könnte, gibt es durchaus unterschiedliche Schwerpunkte bei der Anlage der Illustrationen, etwa der reduzierte Umfang technischer Details in der Weimarer Handschrift oder die Zufügung von perspektivischen Elementen in der Liechtensteiner Handschrift des Martin Merz. Aber auch ein Gesamtvergleich der in Beziehung stehenden Zeichnungen eröffnet neue Einblicke. So versucht die folgende Abbildung beispielhaft für eine verwandte Handschrift aus dem beruflichen Umfeld Mönchs, der Liechtensteiner HS 8, und einem Beispiel für zeichnerische Übernahmen in das Weimarer 'Ingenieurkunst- und Wunderbuch' die Vermittlungswege transparent zu machen (siehe rechts Strichkonkordanz).

Die Verbindungslinien zeigen die jeweils voneinander abhängigen Zeichnungen an. Gut ist zu erkennen, dass Merz und Mönch jeweils nur einen Teil der Abbildungen gemein haben, nämlich jenen Teil, der Geschütze präsentiert. Hier erfolgten die Übernahmen wohl im Block, obwohl bei einzelnen Abbildungen die Reihenfolge geändert wurde. Auch bei den Übernahmen in die Weimarer Handschrift zeigt sich ein gewisses systematisches Vorgehen. Hier sind die Vorlagen Mönchs fast komplett übernommen worden, aber nach Sachgruppen zusammengehörig in Änderung der Reihenfolge jeweils blockweise neu gruppiert worden. Innerhalb der einzelnen Blöcke traten dann ebenfalls noch Umgruppierungen der Reihenfolge in geringerem Umfang auf. Da dies in ganz ähnlicher Form auftritt wie bei den Beziehungen zwischen Merz und Mönch, könnte man darauf schließen, dass die heutige Reihenfolge der Abbildungen in Mönchs Handschrift nicht mehr jener entspricht, die Mönch selbst angelegt hatte und wie sie wohl noch den Zeitgenossen vorlag. Die Veränderungen der Blätterfolge erfolgte wohl, als beim Abtransport der Palatina-Handschriften nach Rom die Originaleinbände entfernt wurden, bzw. als nach der Rückführung der deutschen Handschriften nach Heidelberg die losen und durcheinander geratenen Lagen falsch zusammensortiert und neu gebunden worden. Aus der Handschrift selbst ließen sich wohl keine näheren Anhaltspunkte für die Abfolge gewinnen. Eine alte Foliierung oder wenigstens Lagenbezeichnungen waren nicht vorhanden. Die heutige Foliierung erfolgte erst nach der Neubindung. Eine präzise Untersuchung der Reihenfolge unter Einbeziehung der weiteren Handschriften des Martin Merz und der Übernahmen in den Erlangener Codex des Ludwig von Eyb könnte eine Rekonstruktion der alten Blattfolge ermöglichen. Allerdings mag ein solches Verfahren nicht sonderlich zuverlässig sein, da es voraussetzt, dass die Kopisten der damaligen Zeit getreu auch die Reihenfolge der Vorlagen einhielten. Immerhin lassen sich so aber Handschriftenbeziehungen gut transparent machen.

Fast gleichzeitig entstanden auch als individuelle Manuale, Skizzen- und Rezeptsammlungen die ersten Büchsenmeisterbücher. Diese beschäftigten sich hauptsächlich mit der Herstellung und dem Einsatz der Waffen wie auch mit Pulverrezepten. Diese Werke betrachteten nüchtern und technisch die einzelnen Gegenstände und dienten damit der Wissensbewahrung und -vermittlung. Als Leser waren Gehilfen und Nachfolger vorgesehen. Die Büchsenmeister standen untereinander in schriftlichem und mündlichem Kontakt und tauschten auch Zeichnungen aus. So sieht man immer wieder Verbindungen zwischen den Büchern.

Lichtenstein Merz HS8

Der Codex eignet sich in besonderem Maße für Vergleiche zu den Abbildungen von Kriegsgerät des Philipp Mönch, da es sich wie bei diesem um einen reinen Bildkatalog handelt, der keine Beischriften zu den Bildern aufweist. Die Bildthemen sind Feuerwaffen, Hebezeug, Brechzeug und Einzelteile. Offenkundig sind die engen Übereinstimmungen der Abbildungen. Sie dürften entweder darauf zurückgehen, dass die beiden Berufskollegen ihnen gleichermaßen vertraute Waffen und Geräte aus dem Arsenal ihres Dienstherrn abzeichneten oder dass es einen Austausch ihrer beider Bildkataloge gab. Wer dabei von wem Anregungen und Zeichnungen aufnahm, ließe sich nur durch eine präzise Datierung der Handschriften entscheiden. Doch ist nur für den Codex Mönchs ein genaues Datum überliefert. Für den Liechtensteiner Codex HS 8 ist nur ein Terminus Post Quem zu gewinnen. Die Handschrift entstand nach 1479. Dies lässt sich aus der Gussinschrift auf einem abgebildeten Mörser herleiten.

Der Beschreibstoff ist Papier. Die Größe ist 31 x 20cm. Der Codex hat 47 Blätter, wovon das Erste und das Letzte leer geblieben sind. Der Einband ist modern. Der Inhalt ist in Mönchs Handschrift zwar vielfältiger, aber es gibt eine ganze Anzahl Abbildungen bei den Büchsen, dem Hebe- und Steigzeug, die einander auffallend gleichen (Abb. 1 und 2). Die Gerätschaften sind in den beiden Büchsenmeisterbücher jedoch nicht in der gleichen Reihenfolge abgebildet.

 


Abb. 2, Cpg 126, 26v.

Wie sowohl bei den beiden Hebemaschinen als auch auf den Abbildungen 3 und 4 zu sehen, ist die Perspektive in HS 8 besser als im 'Buch der stryt'. Zudem sieht man auf diesen vier Bildern, dass bei Merz einige Geräte mit einem Schattenwurf dargestellt sind, wodurch sie auf einem Boden zu stehen scheinen. Dies ist bei Mönch in der Regel nicht der Fall. Alle Zeichnungen des Liechtensteiner Codex scheinen von einer Hand angefertigt zu sein. Sie sind sorgfältig ausgeführt und die einzelnen Gegenstände sind präzise gezeichnet. Insgesamt wirken die Abbildungen feiner als die in Mönchs Buch und zeigen mehr Details (Abb. 3 und 4). Allerdings stellt Merz keine Maschinenelemente vergröäert neben die Maschinen.


Abb. 4, Cpg 126, 34r.

 

 

 

 

 

 

Das Weimarer 'Ingenieurkunst- und Wunderbuch'

Unter der Signatur Fol 328 verwahrt die Stiftung Weimarer Klassik, Anna Amalia Bibliothek eine Sammelhandschrift gewaltigen Umfangs, die nahezu alle Abbildungen technischer Geräte vereinigt, die ein gründlicher Sammler um 1500 erreichen konnte. Die auf kostbarem Pergament im Format 33,5 x 25,5cm im Umfang von 317 Blättern angelegte Handschrift stammt aus Südwestdeutschland aus den Jahren um 1500. Ihr Auftraggeber ist bis heute unbekannt, obwohl er sich in einem Wappen selbst vorstellt. Ein Identifikationsversuch deutet auf das oberpfälzer Geschlecht der Herren von Wolfstein. Trifft dies zu so lieäe sich auch gut erklären, warum die Handschrift sowohl Zeichnungen von Martin Merz und Philipp Mönch als auch des Landshuter Zeughausinventars aufnahm. Der Auftraggeber könnte entweder in pfälzischen Diensten Zugang zur pfalzgräflichen Bibliothek gehabt haben oder, etwa als Mitstreiter im pfälzischen Krieg von 1504 zumindest Philipp Mönch gekannt haben, welcher ihm dann Zugang zu den Zeichnungen verschaffte. Die Beziehungen zwischen den Handschriften könnten auäerdem noch über Ludwig von Eyb zustande gekommen sein, der auf Pfälzer Seite im Erbfolgekrieg von 1504 tätig war, und in dessen Sammelhandschrift (Erlangen, Universitätsbibliothek, B 26) sich dasselbe Spektrum findet. Der erste nachgewiesene Besitzer des Weimarer 'Ingenieurkunst- und Wunderbuchs' war Christoff von Waldenrodt, der die Handschrift dann 1621 an Ernst I. von Sachsen-Weimar verkaufte. Seit dann 1690 die Hofbibliothek gegründet wurde, ist sie im Bestand der heutigen Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Auäer den 656 Seiten mit teilweise lavierten Federzeichnungen gibt es nur wenige Seiten, die Text aufweisen. Diese sind in fol. 62v-63r in Textura und sonst in Kursive abgefasst. Auf den meisten Seiten befindet sich nur eine Abbildung in der oberen Seitenhälfte; zahlreiche Seiten enthalten jedoch mehrere Abbildungen und bis zu 15 Einzelzeichnungen, so dass sich die Gesamtzahl der Zeichnungen auf weit über 800 belaufen dürfte. Die Zeichnungen sind insgesamt deutlich feiner und detaillierter angelegt als bei Mönch, aber meist nicht koloriert und nur gelegentlich mit schwachen Lavierungen versehen. Diese Handschrift gehört zu einer weiteren Kategorie der Zeit, den oben bereits erwähnten Sammlungen. Dies schlägt sich in ihrem viel gröäeren Umfang sowie der höheren Themenvielfalt nieder. Es wurden aus mehreren verschiedenartigen Handschriften ganze Bildfolgen abgezeichnet. Gelegentlich kamen dabei nichttechnische Inhalte zum Zug, wie etwa die bei Mönch natürlich nicht zu findenden Genreszenen wie die auf Abbildung 11. Diese zeigen höfische Szenen, Musikinstrumente, Spiele oder Karikaturhaftes und sind von kulturhistorisch groäem Wert. Ihre Bedeutung allerdings erst im Ansatz entschlüsselt; auch die Herkunft der Vorlagen ist noch ungeklärt.Auch aus Mönchs Werk sind viele der Maschinen hier zu finden. Die Bilder sind in mehreren Gruppen eingefügt, die von Bildfolgen anderer Herkunft unterbrochen sind. Innerhalb der einzelnen Gruppen sind sie oft in der gleichen Reihenfolge angeordnet.

Eine Zeichnung, welche dem 'Buch der stryt' erst später beigefügt wurde und einen anderen Stil aufweist (Abb. 13), ist auch im 'Wunderbuch' aufgenommen worden (Abb. 12). Dies zeigt, dass das Cpg126 bei der Herstellung des Wunderbuches wohl im Original vorlag und gibt einen Hinweis zur Datierung der Weimarer Handschrift, die dann auf jeden Fall nach 1496 anzusetzen wäre.


Abb. 13, Cpg 126, 33v ar.