Typarsammlung online

Lehrprojekt Digital Humanities zur Siegelstempelsammlung der Abteilung Mittlere Geschichte

Die Siegelkunde als historische Hilfswissenschaft ist mehr als nur ein „Nebenprodukt“ der Urkundenlehre. Siegel stellen mit ihrer Verbindung von Bild und Schrift eine Quellengattung dar, die unterschiedliche Funktionen erfüllt: Siegel sind nicht nur rechtlich relevante Beglaubigungsmittel, sondern ihr Symbol- und Aussagegehalt liegt auch in ihrer Funktion der Repräsentation. Trotz der rechtlichen, ikonographischen und kulturellen Dimension der Siegelpraxis und dem wachsenden Interesse an einer mittelalterlichen „Kultur der Zeichen und Symbole“ (G. Althoff) ist die Sphragistik, die zu den „kleineren“ historischen Hilfswissenschaften zählt, häufig in der mediävistischen Lehre unterrepräsentiert. In letzter Zeit hat sich die Sphragistik auch ikonographischen und symbolischen Fragestellungen in Richtung einer Semiotik der mittelalterlichen Ranggesellschaft geöffnet. Der Fokus auf Siegel und Siegelstempel als materielle Objekte erlaubt andere Blickwinkel auf diese dreidimensionalen Text-Bild-Konglomerate.

Die Typar- oder Siegelstempelsammlung besteht aus einer im Jahr 2014 von Prof. Dr. Mark Mersiowsky mit Berufungsmitteln in einem Mönchengladbacher Antiquariat angekauften Sammlung und einer zweiten, im Privatbesitz stehenden Sammlung, die in einem Münchner Antiquariat angekauft wurde. Beide sind für Lehrzwecke vorgesehen und umfassen insgesamt 86 Typare, davon 16 originale und 69 pseudo-originale Siegelstempel von geistlichen Dignitären und Institutionen, des niederen Adels, von Universitäten, Zünften und Städten, Schöffen sowie von Siegeln für Justizsachen und Geschäftszwecke. Ihr zeitlicher Rahmen reicht vom 13. bis zum 19. Jahrhundert. Die Nachbildungen stammen aus dem 19./20. Jahrhundert. Mit ihren unterschiedlichen Siegelarten bietet die Sammlung ein umfangreiches Lehr- und Lernangebot für Studierende.

In dem von Dr. Anja Thaller konzipierten Lehrprojekt „Typarsammlung online“ sollen die im Besitz der Abteilung Mittlere Geschichte der Universität Stuttgart befindlichen Siegelstempel (Typare) in einer Online-Datenbank erfasst, beschrieben und nach verschiedenen Parametern durchsuchbar gemacht werden.

In zwei Übungen im Wintersemester 2016/17 (Einführung in die Siegelkunde) und Sommersemester 2017 (Sphragistik goes digital) wurden den insgesamt 42 studentischen TeilnehmerInnen die theoretischen Grundlagen und Methoden der Sphragistik wie auch der Heraldik vermittelt. Dabei wurden auch die methodischen Grundsätze zur Bewertung der Echtheit von Siegelstempeln nach Toni Diederich erörtert und in praktischen Übungen auf das vorhandene Corpus angewandt. Darüber hinaus wurden verschiedene online zugängliche Siegel(stempel)-Datenbanken miteinander verglichen und ein Erfassungsschema erarbeitet sowie die Sinnhaftigkeit der digitalen Darstellung und die Umsetzbarkeit diskutiert. Als praktikable Vorbilder stellten sich dabei die Datenbanken auf http://gams.uni-graz.at/context:epis und http://gams.uni-graz.at/context:sis heraus. Zwei Spezialführungen durch die Siegelsammlungen des Hauptstaatsarchivs Stuttgart komplementierten das Angebot. Ziel der Lehrveranstaltungen war die Erschließung, Aufbereitung, Beschreibung und Kommentierung der Siegelstempelsammlung.

Folgende Schritte wurden dabei gemeinsam mit den Studierenden umgesetzt:

  • Inventarisierung und Nummerierung der Siegelstempel
  • Anfertigung hochauflösender Digitalfotos
  • Nachbearbeitung der Digitalfotos mit einem Bildbearbeitungsprogramm (Farbinvertierung etc.)
  • Erarbeitung eines Erfassungsschemas
  • Erfassung der materiellen Beschaffenheit der Siegelstempel (Maße, Gewicht, Erhaltungszustand etc.)
  • Transkription und Analyse der Siegelum- und -inschriften
  • Analyse und Beschreibung der Siegelbilder
  • Identifikation der siegelführenden Person/Institution
  • Frage nach der Echtheit
  • Erfassung und Aufbereitung der Typare im Erfassungsschema: Beschreibung und Kommentierung, Datierung

Im nächsten Schritt wird zunächst die Überarbeitung der Beschreibungen erfolgen, bevor diese in das XML-Erfassungsschema implementiert werden. Vom Zentrum für Informationsmodellierung – Austrian Centre for Digital Humanities in Graz (Prof. Dr. Georg Vogeler) liegt das Angebot vor, die Daten dauerhaft zu hosten. In Planung ist auch eine Erfassung der Siegelstempel mittels RTI (Reflectance Transformation Imaging) durch das Cologne Center for eHumanities (Universität zu Köln), um die Qualität der Abbildungen und damit auch deren Auswertbarkeit zu erhöhen. Dafür wird ein entsprechender Viewer in die Datenbank eingebunden.

Durch die Erfassung und Aufbereitung der Stuttgarter Typarsammlung in einer Online-Datenbank wird die konkrete Anwendung der Digital Humanities für den Bereich der Sphragistik nutzbar gemacht. In der online frei zugänglichen Datenbank wird der Zugang zur Siegelkunde sowie zu diesem Lehrmaterial für alle Interessierten erleichtert. Zum einen steht damit Studierenden eine gute Basis zur Verfügung, um siegelkundliche Fertigkeiten zur erlernen und zu vertiefen. Zum anderen liegt ExpertInnen ein Angebot hochwertiger Digitalfotos und verständlich aufgearbeiteter und nach Kategorien und Parametern durchsuchbaren Informationen vor.

Dr. Anja Thaller

 

Kontakt

 

Historisches Institut - Abteilung Mittlere Geschichte - Sekretariat

Keplerstr. 17, D-70174 Stuttgart, Etage 8b, Raum 8.056

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